Prävention auf den Punkt genau: Prädiabetes – Die Kombi macht das Risiko

Berlin, 23.09.2021

Prädiabetes? Klar, da sind einzelne Blutzuckerwerte erhöht und es besteht ein Risiko zur Entwicklung eines Typ-2-Diabetes. Aber bei wem manifestiert sich tatsächlich ein Diabetes und wer hat ein hohes Risiko für folgenschwere Komplikationen? Das war bisher nicht vorauszusagen. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur gezielten Prävention könnte die kürzlich publizierte Identifizierung von sechs Subtypen des Prädiabetes sein.1 Zusätzlichen Schub könnte eine App zur Erkennung besonders gefährdeter Patienten*innen liefern. Denn bei drei der sechs Subtypen ist rasches Handeln gefragt.

Ein Typ-2-Diabetes entsteht nicht von heute auf morgen. Er entwickelt sich meist über Jahre hinweg aus einem Prädiabetes heraus, bei dem die Regulation des Blutzuckers lediglich beeinträchtigt ist. Dabei spielen Übergewicht, Insulinresistenz und -sekretion, häufig in Begleitung von Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen eine Rolle.1,2 Da verschiedene Mechanismen zusammenwirken, unterscheiden sich Menschen mit einem Prädiabetes hinsichtlich Krankheitsentstehung, Risikofaktoren und Prognose. Welche Einflussgrößen zu einem erhöhten Risiko für Diabetes und Komplikationen beitragen, hat kürzlich eine Studie unter Federführung von Prof. Dr. med. Robert Wagner, Universitätsklinikum Tübingen, aufgedeckt.1 Die Forscher hatten den Stoffwechsel von rund 900 Probanden*innen mit Prädiabetes analysiert, deren Daten im Rahmen einer bereits vor 25 Jahren initiierten Langzeitstudie wiederholt erhoben worden waren.1,3 Eine Clusteranalyse von Kerngrößen wie Blutglukose, Insulinausschüttung und -wirkung, Leberfett, Körperfettverteilung, HDL-Cholesterin und genetischen Faktoren förderte sechs Cluster mit unterschiedlich stark ausgeprägtem Risiko für eine Diabetesmanifestation und Komplikationen zutage.1 Die Einteilung ließ sich bei knapp 7.000 Probanden*innen einer Londoner Kohorte bestätigen.1

Übergewicht allein ist es nicht

Auffallend war: Allein aufgrund der Blutglukosewerte, auf denen die Diagnose eines Prädiabetes derzeit basiert, ließ sich die spätere Entwicklung eines Typ-2-Diabetes nicht vorhersagen. Auch Übergewicht bedeutete den Daten zufolge kein per se erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes. Erst wenn die Kombination verschiedener Parameter, wie etwa Insulinsensitivität oder Körperfettverteilung, betrachtet wurde, ermöglichte das eine klarere Einschätzung des Diabetesrisikos.1

Drei Hochrisikogruppen – nicht nur für Diabetes

So hatten Menschen aus dem Cluster 3 mit einer geringen Insulinsekretion genetisch bedingt ein hohes Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, gleichzeitig aber auch ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen oder eine Nephropathie (Abb.1).1,3 Das galt auch für Menschen des Clusters 5, die neben einer Fettleber auch eine Insulinresistenz zeigten. Sie waren zudem von einer erhöhten Mortalität betroffen.1 Besonders bemerkenswert war der Verlauf bei Menschen, die dem Cluster 6 zugeordnet wurden. Bei ihnen lag eine hohe Insulinresistenz in Kombination mit stark erhöhtem viszeralem Fett und renalem Sinusfett vor.1,3 Obwohl die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes eher selten war, entwickelten die Probanden*innen mit und auch ohne Diabetesmanifestation häufig eine Nephropathie.2 Die Sterblichkeit war in dieser Gruppe besonders hoch.1,3

Abb. 1: Die sechs Subtypen (Cluster) des Prädiabetes. Sie unterscheiden sich in der Krankheitsentstehung, dem Risiko für Diabetes und der Entwicklung von Folgeerkrankungen.1,3 Bildquelle: IDM, DZD

Risikoadaptierter Präventionsansatz

Diese Erkenntnisse, für die Prof. Wagner mit dem Präventionspreis der DGIM und dem Ferdinand-Bertram-Preis der DDG ausgezeichnet wurde2,4, sind bahnbrechend. Sie ermöglichen, individuelle Risiken bei Menschen mit Prädiabetes präziser einzuschätzen. Prospektive Studien sollen nun zeigen, inwieweit Risikopersonen anhand der Subtypen frühzeitig identifiziert werden können.3 Gelingt dies, wären subtypenspezifische Präventionsmaßnahmen vorstellbar. Wegen des hohen Risikos für Nierenschäden bereits vor Manifestation eines Typ-2-Diabetes könnten davon insbesondere jene Menschen des Clusters 6 profitieren. Abzuklären ist, ob subtypenspezifische Präventions- und Therapiemaßnahmen auch im Hinblick auf kardiovaskuläre und nierenspezifische Risiken wirksam sein könnten.5

Digitale Unterstützung – App in Sicht

Digitale Lösungen könnten der subtypenbasierten Prävention des Typ-2-Diabetes zusätzlichen Schub verleihen. Ganz pragmatisch haben Prof. Wagner und seine Kollegen*innen nach einer im Praxisalltag einfach umzusetzenden Lösung zur Identifizierung von Risikopatienten*innen gesucht. Entstanden ist eine App, in die verschiedene Parameter wie das Ergebnis eines Glukosetoleranztests, Insulinwerte, Laborwerte von Triglyceriden und HDL sowie Gewichtsparameter eingetragen werden.5 Derzeit liegt die App in einer Testversion vor, mit dem Erscheinen ist in Kürze zu rechnen.5

Genetisch bedingt: Erhöht Mangan-Mangel das Diabetesrisiko?


Von interessanten Projekten der Tübinger Arbeitsgruppe um Prof. Wagner haben wir Ihnen bereits in einem anderen DiaChannel berichtet:
Auch Erbanlagen können wichtige Prädiktoren sein. Ob möglicherweise auch eine Gen-Mutation im Mangan-Transporter zur Entstehung von Typ-2-Diabetes beiträgt, soll in einem Forschungsvorhaben am Universitätsklinikum Tübingen untersucht werden. Dr. med. Martin Daniels wurde dafür von der DDG mit der Menarini Projektförderung 2021 ausgezeichnet. Lesen Sie hier mehr dazu


Quellen:
1. Wagner R et al. Nat Med 2021; 27: 49-57
2. Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Pressemitteilung 23.04.2021
3. Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD). Pressemitteilung 04.01.2021
4. Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD). Pressemitteilung 05.05.2021
5. Geissel W. www.aerztezeitung.de, 26.05.2021

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